14. Der Ackerbau


Bis in die Mitte der 1940er Jahre pflanzten die Bauern Roggen, das sogenannte Schlafkorn, an. Im Frühjahr säuberten sie die Äcker. Es folgte die strengste Arbeit, das

Umbrechen. Im August säten sie den Roggen, der im Winter unter der Schneedecke lag. Im nächsten August schnitten sie das Korn und trugen es in Garben in Stadel, wo es in den Wintermonaten gedroschen wurde. Dann trennte man die Spreu von den Körnern, die im Dorf zu Mehl gemahlen und zu Broten gebacken wurden. Ein Jahr lag der Acker jeweils brach.

 

 

Details

Brot, Breie und Eintopfgerichte mit Getreide stellten für Generationen unserer Vorfahren die Grundnahrungsmittel dar. Ackerbau war zusammen mit Viehzucht die Basis einer weitgehenden Selbstversorgung. Dies war auch im Tal von Zermatt nicht anders, selbst wenn Handel, Passverkehr und Solddienst stets Waren und Bargeld in die Gegend brachten.

 

Spuren der einstigen Äcker finden sich rund um Zermatt an mehreren Orten: Nordöstlich des Dorfes bei Ried, östlich bei Findeln (bis auf über 2000 m Höhe!) und südwestlich auf den Fluren von Grueben bis Zmutt. Dem letzten dieser drei hauptsächlichen Anbaugebiete begegneten wir auf dem Kulturweg bereits und sahen die alten Stützmauern der Ackerterrassen. Rund um Zermatt waren einst über

100 Hektaren Land als Äcker geöffnet; über die Hälfte davon entällt auf das Gebiet zwischen der Herbrig und Zmutt.

 

Die meisten Äcker sind klein: 100, 200 vielleicht einmal 400 m². Grund dafür ist die reale Erbteilung: Nicht der älteste oder der jüngste Sohn erbt den ganzen Hof, wie das in anderen ländlichen Gebieten üblich ist, sondern jedes Kind hat gleiches Anrecht aufs

Erbe. Folglich muss geteilt werden: Häuser, Stadel, Scheunen, aber auch Grundstücke werden in Hälften und Viertel, in Achtel und Sechzehntel geteilt und später wieder geteilt… Im weitläufigen Gelände bearbeitet jede Familie mit grossem Wegaufwand ihren Splitterbesitz. Doch ist diese Art der Bewirtschaftung auch ein Risikosplittng, das im Fall von Zerstörung durch Naturgewalten die Verluste minimiert.

 

Angepflanzt wurde nebst Gerste (und im 19./20. Jahrhundert natürlich Kartoffeln) vor allem Roggen und dieser häufig als Winterroggen. Im September wird der Winterroggen ausgesät. Die Körner keimen rasch und in den folgenden Wochen wächst der junge Roggen wie eine Wiese heran. Dann begräbt der erste Schnee das zarte Grün, sofern es nicht geschnitten oder abgegrast wird. Wie auch immer: Der Roggen überwintert. Im Frühjahr muss er nicht „bei Null anfangen“, sondern kann nun rascher stossen und in die Höhe wachsen. So nutzt der Winterroggen die kurze Sommerzeit im

Gebirge optimal.

 

Ackerbau ist arbeitsintensiv. Der Winter brachte Äste und Steine auf die Äcker, die es jeden Frühling wegzuräumen galt. Dann musste man in Rückentragkörben den Mist herbeitragen oder ihn mit Maultieren säumen; er wurde als Dünger aufs Land verteilt. Anstrengend war das Umbrechen, das in diesem Gelände und auf den kleinen Parzellen nicht mit Zug􀀠er und Pflug zu machen war. Es musste von Hand mit einer Spitzhaue als Schweiss treibende Körperarbeit geleistet werden.

 

Dieses Umbrechen mit der Haue nennen die Zermatter in ihrem Dialekt howwu – hauen. Manchmal musste man auch dem Unkraut zu Leibe rücken und jäten. Endlich konnte, unter einer heissen Augustsonne, das Korn mit der Sichel geschnitten werden, später ging man zum Mähen mit der Sense über. Die schweren Garbenbündel

trug man in einem Tuch zum Stadel, wo im Winter gedroschen wurde. 

 

Nun mussten noch Spreu und Verunreinigungen von den Getreidekörnern getrennt werden, diese Arbeit war das Wannu. Dazu warf man die Getreidekörner bei etwas Wind in die Luft und fing sie in einem ausladenden, halbrunden, flachen Handkorb wieder auf. Eine handgetriebene Windmaschine, die Getreidefege, vereinfachte

dieses Reinigen des Korns. Im Wallis heisst das Gerät Wanna oder Windwanna. Nun erst konnte man mit den Getreidekörnern zur Mühle gehen und nach dem Mahlen das Mehl im Dorfbackofen verbacken – es benötigte Tage und Tage körperlicher Arbeit, bis das Brot auf dem Tisch war.

 

Wie an vielen Orten des Wallis, wurde der anstrengende Ackerbau auch in Zermatt spätestens nach der Krisenzeit des Zweiten Weltkrieges schrittweise aufgegeben. Und hier und dort finden sich heute tatkräftige Einheimische oder Zugezogene, die den alten Getreideanbau auf ein paar frisch aufgebrochenen Parzellen wieder aufleben lassen: In Zmutt engagieren sich Natascha Biner und Viktor Perren neulich dafür, damit das eindrückliche Bild des hochalpinen Ackerbaus nicht gänzlich in Vergessenheit gerät.